Berufliches Gymnasium am Berufsschulzentrum

Herr Boese, Lehrer am Berufsschulzentrum in Stendal, schreibt:

Im letzten Jahr haben wir mit einer Klasse die Ausstellung zum Anne – Frank – Tag vorbereitet und sind dann am12. Juni mit insgesamt fünf 11. Klassen im Rahmen eines Projekttages - sehr gut geführt - durch die Ausstellung gegangen. Medial begleitet wurde dies durch Redakteure zweier Regionalzeitungen und der Rundfunk (mdr) war vor Ort. So hatten wir uns dies auch für 2020 vorgestellt. Und dann kam Corona und in der Schule zog eine „neue Normalität“ ein, die klassenübergreifende Projekttage als völlig unrealisierbar einstufte. Dazu kam noch der Umstand, dass die 11. Jahrgangsstufe unseres Beruflichen Gymnasiums vom 16. März bis zum 02. Juni nicht in die Schule kommen durfte. 11 Wochen Homeschooling, die eine zielorientierte und nachhaltige Vorbereitung auf einen Anne Frank Tag unmöglich machten.

Aber dann kam das Ausstellungsmaterial und aus einem „Hindernis“ wurde eine Chance. Denn das Thema Freiheit hatte für die Schülerinnen und Schüler in diesem Jahr nicht nur eine historische Dimension, sondern auch eine ganz persönliche und für die meisten auch eine das erste Mal überhaupt bewusst erlebte Ebene. Aus organisatorischen Gründen haben wir das Projekt nur mit einer Klasse durchgeführt. Noch im Homeoffice haben die Schülerinnen und Schüler den Auftrag bekommen, sich intensiv mit dem Begriff Freiheit auseinanderzusetzen. Dies sollten sie auf unterschiedlichen Ebenen tun: der Freiheitsbegriff von Anne, der heutige Freiheitsbegriff und ihr ganz persönliches Empfinden von Freiheit vor dem Hintergrund der massiven Coronabeschränkungen. Als Ergebnis sollten die Lernenden dann ihre Definition von Freiheit formulieren und ein Foto von sich aus dem Homeoffice senden.

Die Ergebnisse haben wir zu einer Collage zusammengefasst, die dann für die eigentlichen Anne Frank Tage als Diskussionsgrundlage dienen konnten. Interessant waren die riesige Bandbreite der Definitionen von Freiheit und die sehr unterschiedlichen Bilder aus dem Homeoffice. Für die Lernenden war es das erste Mal, dass sie sich damit konfrontiert sahen, dass etwas, was als selbstverständlich empfunden wurde, massiv und mit zum Teil gravierenden Folgen eingeschränkt wurde.

Die eigentliche Anne Frank Tage waren dann der 15. Juni (Gruppe 1 | 11 Lernende) und der 29. Juni (Gruppe 2 | 11 Lernende). Hier haben sich die Gruppen intensiv mit dem Ausstellungsmaterialien auseinandergesetzt und den Zusammenhang von persönlicher Freiheit und allgemeiner (gesellschaftlich/sozialer) Freiheit herausgearbeitet. Dabei flossen dann auch die individuellen Coronaerfahrungen mit ein, was zu einer außerordentlich intensiven und nachhaltigen Arbeitsatmosphäre führte. Als Quintessenz kam heraus, dass Freiheit immer auch das Freisein von Rassismus (nach der Definition von Albert Memmi) bedeutet. Damit war der zweite zentrale Begriff für des Projektes gefunden: Rassismus. Die von den Schülerinnen und Schülern intensiv reflektierte Black- Lives- Matter- Bewegung spielte hier sicherlich eine entscheidende Rolle.

Im Rahmen des Projektes Meet a Jew hatten wir dann am 06. Juli (Gruppe 1) und am 13. Juli (Gruppe 2) jeweils zwei jüdische Schülerinnen aus Berlin bei uns in Stendal zu Besuch, die sich intensiv mit den Lernenden über die Themen Freiheit und Rassismus ausgetauscht haben. Diese beiden Veranstaltungen zählen mit zu den besten Projekten, die ich in meiner Laufbahn als Lehrer bisher durchführen durfte. Bedingt durch die kleine Gruppengröße fand hier ein sehr persönlicher und reger Austausch zwischen allen Beteiligten statt, der die Bedeutung von Freiheit, die unterschiedlichen Dimensionen des Freiheitsbegriffes und vor allen Dingen die absolute Notwendigkeit eines täglichen Einsatzes gegen Rassismus, nachhaltig in den Lernenden implementiert hat.

 

 

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